Wie ich zur Lebensmittel-Retterin wurde
Ich wuchs mit vier Brüdern auf dem Lande auf. Wir hatten Ziegen und eine Kaninchenzucht. Mein Vater konnte dadurch bei einem Grossverteiler am Samstagabend günstig Brot für die Tiere kaufen. Nebst viel trockenem Brot hatte es in den Samstagskisten auch frische Brote und feine Butterzöpfe. Diese wanderten auf den Frühstückstisch und in die Gefriertruhe für die kommende Woche, bis eine neue Abholung stattfand. Dieses Brot hat uns über manche Jahre den Hunger gestillt und das Budget meiner Eltern entlastet.
Seit 35 Jahren wohne ich nun im schönen Zürcher Oberland, in Ottikon. Vor etwa 5 Jahren musste ich bei einem Einkauf kurz vor Ladenschluss mitansehen, wie ein Mitarbeiter ein ganzes Regal feinstes Rindsfleisch in einen Kehrrichtsack packte und eine Mitarbeiterin Torten und Wähen mit dem Arm von der Theke in den Abfalleimer schob. Ich konnte meine Entrüstung nicht zurückhalten und empörte mich, dass es eine Schande sei, noch einwandfreie Lebensmittel zu entsorgen, anstatt sie noch zu geniessen. Lakonisch kam die Antwort: «Ist halt Vorschrift, geht leider nicht anders!» Das konnte ich nicht verstehen und mutete mir fortan keine Einkäufe mehr so kurz vor Ladenschluss zu.
Etwas später stiess ich auf den Link: www.foodsharing.de und las, dass diese Umwelt-Organisation aus Deutschland sich genau gegen solche Missstände wehrt und mit Freiwilligen bei den Läden nach Ladenschluss noch geniessbare Lebensmittel abholt und weiterverteilt. Da wollte ich mehr wissen und fand heraus, dass Foodsharing in der Schweiz erst am Fuss fassen war und jedermann willkommen, der mithelfen wollte.
Nach einer kurzen Ausbildung in Theorie und Praxis war ich dann berechtigt, selbst Lebensmittel zu retten. Aber es gab erst zwei kleine Betriebe in Uster, wo man einmal pro Woche etwas retten konnte. Ich steckte ein paar Bekannte mit dem Foodsaver-Virus an und nach einer Weiterbildung konnte ich zusammen mit Monika aus Dürnten selber neue Leute ausbilden und weitere Läden anfragen, ob sie mit «Foodsharing» zusammenarbeiten und einen wichtigen Beitrag gegen Food Waste leisten möchten.
Unterdessen gibt es einen eigenständigen Foodsharing Bezirk Zürcher Oberland. Bei 25 kleineren und grösseren Betrieben haben die 100 Foodsaver bei 10'000 Einsätzen bisher über 220 Tonnen Lebensmittel gerettet und dafür gesorgt, dass sie noch gegessen wurden.
Bei kleinen Läden gehen wir zu Fuss oder mit dem Velo vorbei, bei grösseren mit dem Auto. Es ist uns freigestellt, wie wir die Lebensmittel verteilen, sie dürfen einfach nicht verkauft werden. Wir bringen die Lebensmittel Familien, Freunden, Nachbarn, Flüchtlingen etc., und einen Teil davon zu einem öffentlichen Kühlschrank von «Madame Frigo».
Obschon die meisten Läden mit einer karitativen Organisation zusammenarbeiten, landet immer noch viel in der Biogas-Anlage oder im Abfall, das wir retten könnten. Machst du mit und hilfst du uns dabei? Melde dich, ich gebe dir gerne weitere Infos. Ich freue mich auf dich.
Erika Ruff
e.ruff@outlook.com